Der Peter Neururer von Argentinien

Erstmalig so richtig ins Bewusstsein kam mir der argentinische Fußball bei der WM 1974. In der Zwischenrunde kam es zum Duell zwischen der DDR und Argentinien. Die Partie endete 1:1. Für die Elf von Georg Buschner traf der damals noch für Hansa Rostock spielende Torjäger Joachim Streich. Für Argentinien glich René  Houseman aus. In der Statistik las sich an jenem 3. Juli 1974 in Gelsenkirchen das Spiel so:

Argentinien – DDR 1:1 (1:1)

Argentinien: Filliol, Wolff, Bargas, Heredia, Carrascosa, Brindis, Telch, Babington, Houseman, Kempes, Ayala

Trainer: Vladislao Cap

DDR: Croy, Kische, Weise, Bransch, Kurbjuweit, Pommerenke, Sparwasser, Schnuphase, Löwe (66. Vogel), Streich (81. Ducke), Hoffmann,

Trainer: Georg Buschner

Tore: 0:1 Streich (14. Minute), 1:1 Houseman (22. Minute)

Zuschauer: 54.200 (offiziell)

Schiedsrichter: Taylor (England)

Bemerkenswert an der argentinischen Aufstellung: Torwart Ubaldo Filliol stand beim WM-Turnier vier Jahre später in allen 7 Spielen zwischen den Pfosten bis zum Weltmeistertitel 1978, René Houseman war in 6 Partien bei der einheimischen WM dabei und Mario Kempes wurde  mit 6 Treffern in 7 Begegnungen vier Jahre nach jenem Spiel in Gelsenkirchen WM-Torschützenkönig und erzielte im Finale gegen die Niederlande zwei Tore.

Noch ein paar geschichtsträchtige Besonderheiten hatte die Gelsenkirchener Partie zwischen Argentinien und der DDR zu bieten. Schiedsrichter Taylor sollte später das WM-Finale 1974 zwischen der BRD und den Niederlande pfeifen. Das Spiel der DDR war gleichzeitig das letzte WM-Match in der Geschichte des DDR Fußballs. Mit dem jungen 19-Jährigen Flügelstürmer Martin Hoffmann vom 1. FC Magdeburg lief der jüngste WM-Teilnehmer 1974 auf. Er war einige Monate vor Turnierbeginn am 22. März 19 geworden. Am 8. Mai 1974 gewann er mit dem 1. FC Magdeburg sensationell den Europapokal der Pokalsieger. Einmalig in der Geschichte des DDR-Fußballs. Später sollten es Carl Zeiss Jena 1981 und der 1. FC Lokomotive Leipzig 1987 noch in die Endspiele jenes europäischen Pokalsiegerwettbewerbs schaffen.

Auf argentinischer Seite war Mario Kempes der jüngste Spieler im Kader. Er feierte 12 Tage nach dem Spiel gegen die DDR-Nationalmannschaft seinen 20. Geburtstag.

Argentinien und die DDR hatten zusammen mit Haiti übrigens mit 19 Spielern die meisten Akteure beim WM-Turnier 1974 eingesetzt.

Offiziell 54.2000 notierte Zuschauer. Geschätzte 15.000 Zuschauer bei Dauerregen.

Das Spiel fand bei unangenehmen Dauerregen statt. Dies hatte auch Auswirkungen auf die Zuschauerzahl. Offiziell notiert die WM-Partie bei 54.200 nach Kartenverkauf. Da das letzte Vorrundenspiel in der Gruppe A für den weiteren Turnierverlauf bedeutungslos geworden war, sollen es nur geschätzt 15.000 Zuschauer im Gelsenkirchener Parkstadion gewesen sein. Den Gruppensieg erspielten sich die grandios durch die Zwischenrunde marschierte Mannschaft der Niederlande, geführt von Ballkünstler Johan Cruyff. Als zweiter zog der entthronte und enttäuschende Titelverteidiger Brasilien in das Spiel um Platz 3 gegen Polen ein. Jene polnische Mannschaft sollte zwei Jahre später in Montreal im Finale um den Olympiasieg eine deutliche 1:3 Niederlage gegen die DDR hinnehmen. In der olympischen Startaufstellung schickte Georg Buschner mit Croy, Kische, Weise, Kurbjuweit, Löwe und Hoffmann sechs Spieler aus der Partie von Gelsenkirchen aufs Feld. Fünf Minuten vor dem Abpfiff des olympischen Endspiels wurde der langjährige Kapitän Bransch eingewechselt. So standen am Ende in Montreal sieben Spieler auf dem Rasen, die beim Spiel gegen Argentinien ebenfalls die Fußballschuhe schnürten und aufliefen.

Quilmes Atlético Club rettet sich mit dem Peter Neururer Argentiniens

Der damalige argentinische Coach Vladislao Cap spielte übrigens als junger Spieler beim Quilmes Atlético Club. Und dieser Verein kam mir kürzlich … in den interessanten Weiten des Internets wieder sympathisch unter. Was für ein Fund im Netz. Möchte ich meinen Lesern nicht vorenthalten. Dieser Tage bin ich über ein kurzweiliges Argentinisches Tagebuch von Christoph Wesemann gestolpert. Er ist Journalist und Vortragskünstler. Seit Juli 2012 ist Fußballfreund Wesemann in dem fußballverrückten Buenos Aires zu Hause. Den Typus Trainer Marke Neururer gibt es übrigens auch in Argentinien.

,,Außerdem war es eine herrliche Saison des Quilmes Atlético Club. Erstens: nie mehr zweite Liga, nie mehr, niemehrniemehr. Wir bleiben auch zwei Jahre nach dem Aufstieg erstklassig. Zwischendurch waren wir natürlich schon fast abgestiegen. Der erste Trainer hatte sich Mitte Oktober nach einem Heimspiel mit einem maulenden Zuschauer geprügelt und war daraufhin zurückgetreten. Sein Nachfolger verlor Spiel um Spiel. Erst unter Ricardo Caruso Lombardo, dem Peter Neururer Argentiniens, einem Sprücheklopfer und Feuerwehrmann, ging es aufwärts.“

Nach der Ligasaison ist vor der WM. Argentinien gehört für Günter Netzer zum erweiterten Favoritenkreis nach Brasilien.  So die einstige Mittelfeldikone kürzlich hier unten am Bodensee.Traveler Digital Camera

Doch zwischen den Brasilianern und Argentiniern sieht er noch die Europäer wie Spanien und Italien. Ich sehe die Gauchos gar hinter dem gastgebenden Hauptfavoriten Brasilen in der konkretesten Verfolgerrolle. Karl-Heinz Rummenigge legte sich vor zwei Jahren am 15. Juli 2012 in Bild am Sonntag nach dem EM-Aus der Mannschaft von Übungsleiter Löw fest:

„Ich wünsche ihnen, dass sie 2014 in Brasilien besser abschneiden. Aber ich sage voraus: In Südamerika wird eine südamerikanische Mannschaft Weltmeister“.

Mit Prognosen ist es ja aber immer so eine Sache. Christoph Wesemann wirft auch einen Blick voraus und kündigt ein argentinisches WM-Tagebuch an. Die Vorbereitungen sind in vollem Gange, wenngleich es auch noch Holprigkeiten gib:

,,Danü, der Große Meister, soll mir Leo Messi und Sepp Blatter zwischen Copacabanabrüsten zeichnen und ist untergetaucht.“

Ansonsten steht der Plan für das Projekt WM-Tagebuch Argentinien im Großen und Ganzen.

,,Es wird nämlich ein Tagebuch geben, aus argentinischer Perspektive, versteht sich. Analysen, Anekdoten, Kolumnen, Wackelvideos von Autokorsos und Feldforschung (abergläubische Argentinier beim Fußballgucken). Schon morgen gehe ich ins Trainingslager, um an den Grundlagen zu arbeiten. Welche Schuhgröße hat unser Stürmer Kun Agüero? Und wie viele Finger unser Fliegenfänger Sergio Romero? Wie viel Mate trinken die Spieler pro Trainingseinheit? Und wohin fährt unser Liebling Carlos Tevez in den Urlaub?“

Urlaub ist ein gutes Stichwort. Wohin fahren eigentlich Mario Gomez und Rene Adler?

Vor 35 Jahren bildet sich nach einem Fußballspiel zwischen Deutschland und Österreich der Mythos Córdoba

Die Fußball-WM 1978 hat viele Geschichten. Traurige, fernab des Fußballplatzes. In Argentinien ist die Militärdiktatur an der Macht. Das Turnier soll auch zur Reputation des Regimes dienen.

Wie sauber ist das 6:0 von Argentinien gegen Peru?

Die Brasilianer hinterfragen heute noch jenes ominöse 6:0 von Argentinien gegen Peru. Der damalige Spielmodus versetzte den Gastgeber in die komfortable Situation, zu wissen wie hoch der Sieg ausfallen musste, um in das Endspiel zu kommen. Die Gauchos wussten die Gunst der Stunde gegen eine erschreckend schwach dagegen haltende Mannschaft zu nutzen. Es ranken sich Gerüchte, Vorwürfe und Ungereimtheiten um dieses Peru-Spiel. Europäische Mannschaften haben wieder in dem Vizeweltmeister von München einen würdigen Vertreter. Die Niederländer spielen ohne König Johan Cruyff und kämpfen sich nach 1974 ein weiteres Mal in das Finale, um eine erneute Niederlage gegen den Ausrichter der WM hinzunehmen. Mario Kempes schießt unwiderstehliche Tore und hat einen Lauf. 6 Tore machen ihn zum Torschützenkönig. Trainerstar wird Kettenraucher Menotti.

Österreich setzt in der Qualifikation und in der Vorrunde erste Duftmarken

Österreich hatte sich in der WM-Qualifikation gegen den Olympiasieger von Montreal 76, die Mannschaft der DDR mit Trainerlegende Georg Buschner, durchgesetzt und trumpfte auch in der Vorrunde auf. Spanien und Schweden wurden durch Siegtore von Hans Krankl bezwungen. Selbst die knappe Niederlage in der Abschlusspartie gegen Brasilien konnte den Vorrundengruppensieg nicht verhindern. Österreich hatte eine erste Duftnote in Argentinien gesetzt. Helmut Schön coachte die deutsche Mannschaft ein letztes Mal durch ein Turnier. In der Vorrunde gab es in Buenos Aires ein torloses Remis gegen Polen. Dann folgte in Córdoba ein 6:0 gegen Mexiko. Im abschließenden Vorrundengruppenspiel gab es nochmals ein 0:0. Tunesien war der Kontrahent in Córdoba.

Sportsoziologe Matthias Marschik zu Mythos und Realität von Córdoba

So damit hätten wir bereits die Zutaten für das Mythos-Rezept Córdoba. Deutschland und Österreich trafen nach den Ergebnissen der Vorrunde in der 2. Finalrunde vor 35 Jahren am 21. Juni 1978 aufeinander. Das Spiel ging, damit verrate ich keine Neuigkeit, 3:2 für Österreich aus. Der Radioreporter Edi Finger wurde nachträglich in einen Kultstatus gehoben, den die Fußballer mit dem Sieg ebenfalls erreichten. Im Interview mit der  Wiener Zeitung hat der Sportsoziologe Matthias Marschik auch Stellung zu Mythos und Realität von Córdoba genommen.

,,Córdoba ist inzwischen zu einem Begriff geworden, den verschiedenste Leute in Österreich mit verschiedensten Inhalten füllen. Das heißt, es ist ein leerer Begriff. Ich kann diesen Begriff national auf Österreich anwenden, ich kann ihn aber auch mit Wien verbinden. Es ist ja nicht so, dass die Aversion gegen Deutschland in Tirol oder Salzburg so stark verbreitet wäre wie im Osten Österreichs. Das ist im Grunde eine Wiener Geschichte. Ich kann den Begriff aber auch mit Sport und sogar mit der Politik verbinden, wo die Botschaft lautet, dass der Kleine gegen den Großen, seien es jetzt die Deutschen oder auch die EU, immer noch eine Chance hat. In diesen David-gegen-Goliath-Mythos Córdobas lässt sich alles hineininterpretieren und fast alles auch damit begründen. Daher ist Córdoba auch überall als Begriff so akzeptiert und eigentlich unantastbar geworden.“

In jenem besagten Sommer 78 arbeite ich übrigens erstmalig in den großen Ferien mit meinem Schulkumpel Udo 3 Wochen auf dem Fleischhof. Während einer Fußball-WM. Gutes Timing geht anders. Die Anfahrt zur Ferienarbeit mit der Straßenbahn war immer eine kleine Auswertung des vorrangegangenen Spieltags der WM. Auf dem Werksgelände des riesigen Fleischverarbeiters gab es dann allerdings nichts, was an Fußball erinnerte. Der Fokus lag auf Fleisch, Fleisch und nochmals Fleisch. Wir sahen und erlebten auf dem Fleischhof, dem größten der großen Stadt, auch sehr unappetitliche Dinge. Der Bedarf an Fleisch war auf Wochen gedeckt. Aber dies ist wieder eine andere Geschichte.