Nachdenkenswert #163

,,Der Markt für Schachbücher ist hart umkämpft. Die Buchverlage konkurrieren dabei nicht nur untereinander, sondern auch mit anderen Medien (z.B. Internet, DVD). Die Kunden sind also in der glücklichen Lage, aus einem sehr vielfältigen Angebot wählen zu können. Für die Zukunft bin ich sehr gespannt, ob die viel diskutierten eBooks nun auch den deutschen Schachbuchmarkt erobern können. Erste Versuche mit diesen Formaten sind bereits zu beobachten. Die Verbreitung der entsprechenden Lesegeräte ist hierzulande aber noch ausbaufähig, so dass eine endgültige Prognose schwerfällt. Mein Verlag ist aber für den Fall der Fälle bereits gut vorbereitet.“

       Jens-Erik Rudolph, Verleger, im sportinsider Interview 

Die Passion

Schachbuchverleger Jens-Erik Rudolph gibt nicht nur lesenswerte Schachklassiker heraus. Er hat auch einen historischen Stoff aus der Welt des Pokers verlegt. Poker – Ein Spielerroman von Edmund Edel. Hier geht es zu einer kleinen Leseprobe entlang. Kapitel 14: Damenpoker. Dabei haben die Damen jeweils ihren individuellen Glücksbringer mit dabei:

,,Alle Damen machten unwillkürlich dieselben Bewegungen. Alle suchten nach ihrem Fetisch, nach ihrem Glücksbringer. Jede hatte irgendein Amulett. Die eine einen alten Pfennig, die andere eine Fischgräte, die dritte ein schmutziges Zehnpfennigstück mit der Zahl 1907. Von diesen trennten sie sich nicht, und an ihre Wirkung glaubten sie fest und heilig. Sie lagen zwischen den Jetons oder dicht bei der Leder- oder Goldtasche oder zwischen der Puderquaste und dem Handspiegel, zwischen all den Kleinigkeiten, die jede Spielerin vor sich auf dem Tisch hatte. Das Spiel ging weiter. Die Degendorf aber war ganz still geworden.“

Die Erstausgabe erschien 1912 und wurde 1928 unter dem Titel ,,Wenn die Mutter mit der Tochter…“ verfilmt. Wer sich weiter in den Spielerroman vertiefen will findet hier beim Rudolph Verlag alle relevanten Infos zum 176 Seiten umfassenden Buch.

Die Faszination Poker ist keine Erscheinung der Neuzeit. Der Londoner Spieleexperte und Buchautor David Parlett hat in seinem Klassiker Oxford Guide to Card Games auch die historischen Wurzeln von Poker freigelegt. Eine starke Verbreitung fand das Spiel in der Mitte des 19. Jahrhunderts im Westen der Vereinigten Staaten von Amerika. Damals waren Fernsehen, Computer, Internet und Co. noch nicht am Horizont zu sehen. Parlett selber ist übrigens kein Theoretiker in Sachen Spiele. Im Jahr 1973 kreierte er das Spiel Hase und Igel , eine imposante Erfolgsstory. Marketingstrategen aufgepasst! David Parett verkaufte es bisher weltweit über 3 Millionen mal. Ab 1978 erschien das Kultspiel auch bei Ravensburger in Deutschland. Doch zurück zum Poker und dem Online-Zeitalter…

Im Jahr 2012 ist die Begeisterung und Faszination für das Online Poker bereits traditonell zu nennen. Prominente Sportler werben für Poker. Das Spiel ist in der Gesellschaft angekommen. Friedfertig liegen in der gutsortierten Bahnhofsbuchhandlung Schachmagazine und Publikationen zum Poker nebeneinander. Fernsehsender werben kontinuierlich für das Pokerspiel. Die Damen aus dem eingangs erwähnten Buch Poker – Ein Spielerroman hätten wahrscheinlich auch schon das eine oder andere Online-Poker Spiel mit Hingabe und individueller Aufmerksamkeit gespielt. Inclusive ihrer Glücksbringer.

Dann lieber doch ein Schachbuch …

Mich stören immer diese Bücher, die mit sehr viel Lärm angekündigt werden. Das ist für mich in der Regel immer ein Grund die gedruckten Seiten zwischen zwei Buchdeckeln nicht zu kaufen. Die Skepsis überwiegt. Lautstärke könnte die dünne Inhaltsschicht überdecken. Fehlender Content wird durch eine Marketingmaschinerie ersetzt. Ich mag dann nicht. Nein. Im vergangenen Herbst war das Büchlein eines international noch titellosen deutschen Nationalspielers mit Kapitänsbinde so ein Fall. In meiner Bibliothek war noch Platz. Das Budget für den Bücherkauf 2011 war auch noch nicht ausgereizt. Von den traditionellen Buchschenkungungen meiner Liebsten war auch noch eine Festivität offen. Dazu später mehr. Alleine ich wollte nach dem medialen Gedöns dieses Buch nicht haben.

So geht es mir jetzt wieder mit dem Druckerzeugnis eines Ex-Fußballpräsidenten. Es bedurfte schon besonderer Körperbeherrschung um den größten Schlagzeilen der Buchpromotion aus dem Weg zu gehen. Hat sich jemand bereits gefragt: Was taugt das Werk? Kultblogger Trainer Baade nimmt sich der Thematik unter dem Titel Wann ist ein Narr ein Narr? an:

,,Natürlich ist das Ganze für sich schon eine Narretei, so Vieles an diesem Buch ist falsch: der Zeitpunkt so dicht an seinem Rücktritt, der Vorabdruck in der FOTO, die wenig distanzierte Selbsterhöhung im Titel und das höchst unseriöse Ausplaudern von etlichen Interna rund um Verträge, Planungen und Personal mitten aus der Zentrale des DFB.“

Vor zwei Jahren interviewte ich hier auf dem Blog Schachbuchverleger Jens-Erik Rudolph. Er will auch Bücher verkaufen. Doch wie wohltuend seine bodenständige Art und Sicht der Dinge.  Kein nervöser Hype, keine übertriebene Lautstärke und echte Bücher mit Inhalt. Jener berühmte Content. Wirklich tiefer und hochinteressanter Lesestoff.

Mit Büchern und dem Potenzial zum Bestseller ist es ja immer so eine Sache. Timothy Ferris sein Buch Die 4-Stunden Woche verkaufte sich wie geschnitten Brot. Auf Seite 205 wirft er den Scheinwerfer auf die Buchbranche:

,,Weniger als fünf Prozent der 195 000 Bücher, die jedes Jahr auf den Markt kommen, werden mehr als 5000-mal verkauft. Heerscharen von Verlegern und Lektoren mit zusammen jahrzehntelanger Erfahrung in der Buchbranche landen nur selten einen Treffer, viel häufiger sind Fehlentscheidungen.“

Bestseller hin oder her. Meine Entscheidung für mein nächstes Buch steht. Es wird ein Schachbuch… Meine Jahrhundertliebe fragt immer sensitiv vor den Festivitäten wie Weihnachten, Geburtstag oder Ostern. Ich darf dann Wünsche äußern. Sie hat bisher jedes gewünschte Buch bekommen. Da kann ich mich auf meine Liebste verlassen.

Derweil bietet auch das Internet momentan eine Reihe von interessanten Content. Eine Perle möchte ich meinen geneigten Lesern und Schachfreunden besonders ans Herz legen. DeepChess hat unter dem Titel Historical (2) eine ukrainische unsterbliche Partie aus dem Jahr 1931 oder 1937 in Kiew zwischen Efim Kochmar und Abram Poliak ausgegraben. Sehenswert. Wie gewohnt in äußerst guter Qualiät aufbereitet und die 20 Minuten Videozeit vergehen wie im Flug. Wenn es DeepChess nicht gäbe, müsste man sie erfinden. Ich bin jedesmal begeistert.

Amerika hat mit Nakamura wieder einen siegreichen Schachspieler

Im Interview mit Schachbuchverleger Jens-Erik Rudolph fragte ich ihn kürzlich nach der bedeutendsten Schachpersönlichkeit:

 ,,Wer ist Ihr bedeutendster Schachspieler in der Geschichte des Königlichen Spiels? Wie würde Ihre Laudatio auf Ihn lauten?“  

Der Schachenthusiast und Verleger Jens-Erik Rudolph war um eine Antwort nicht verlegen und brachte die beiden Amerikaner Paul Morphy und Bobby Fischer ins Spiel. Die Laudatio bekam dann der sagenhafte und faszinierende Paul Morphy:

,,Als Hobbyspieler möchte ich mir eine solche Einschätzung eigentlich nicht erlauben. Ich denke nicht, dass meine bescheidenen Schachkenntnisse für eine qualifizierte Würdigung der großen Schachdenker hinreichend sind. Ich vertraue in diesem Zusammenhang lieber dem Urteil Bobby Fischers, welcher seinen Landsmann Paul Morphy in seiner Liste der besten Spieler aller Zeiten auf Platz 1 gesetzt hat! Würde Morphy heute leben, so vermutete Fischer, würde er ebenfalls alle Kontrahenten überragen. Ich war von der Lebensgeschichte und dem Spiel Paul Morphys auch schon immer besonders fasziniert. Den ersten Hardcover-Band der Schachklassiker-Reihe habe ich aus diesem Grund auch diesem amerikanischen Schachgenie gewidmet. Morphy war, mit seiner auf schnelle Entwicklung ausgerichteten Spielweise, seiner Zeit meilenweit voraus und den anderen Meisterspielern seiner Zeit haushoch überlegen. Fast alle Kontrahenten, zumindest diejenigen, die sich anzutreten trauten, konnte er in direkten Duellen deutlich besiegen.“

Hikaru Nakamura reiht sich mit dem Sieg beim Tata Steel Chess 2011 in Wijk aan Zee noch lange nicht in die Reihe der beiden amerikanischen Schachgenies Paul Morphy und Bobby Fischer ein. Doch er hat ein Zeichen gesetzt. Bisher war er eher durch schnelles Spiel aufgefallen. Ein Beispiel von der Blitzschachweltmeisterschaft in Moskau 2010 mit der Partie gegen Magnus Carlsen sei ein kleines Beispiel dafür. 

Hikaru Nakamura hielt diese Partie gegen den norwegischen Blitzschachweltmeister von 2009 würdig für einen Platz in seinem Blog. Bloggende Schachspieler sind im Trend. Siehe den deutschen Schachgroßmeister Jan Gustafsson. Bei dem Spiel zwischen Carlsen und Nakamura bekomme ich glatt Lust auf eine kleine Blitzpartie.

Doch zurück zum klassischen Turnierschach. Hikaru Nakamura hat etwas für seine Reputation getan. Schachweltmeister Viswanathan Anand läuft bzw. spielt einem klassischen Turniersieg seit Linares 2008 hinterher. Auch wenn die Chesstigers mildernde Umstände geltend machen wollen für den Tiger von Mudras. Nakamura hat Biss und Power gezeigt. Der Schachweltmeister von 1972, Bobby Fischer, sagte einst prägnant in dem grandiosen Buch (heute noch in meinem Bücherregal an bester Stelle platziert) von seinem Freund Svetar GligoricFischer gegen Spasskij im Schachmatch des Jahrhunderts –:

,,Häufig sind die Leute einfach nicht willens genug, daß sie ihr Bestes geben. Ihnen fehlt der Mut, der Wille zum Sieg. Und wenn man eines Tages soweit ist, muß man auf seinen Ruf achten – sich täglich als ein Unbekannter bewähren. Deshalb albere ich nicht herum. Ich halte nichts vom Zeitvergeuden. Mein Ziel ist die Schachweltmeisterschaft, die Russen zu schlagen. Mir ist sehr ernst damit.“ 

Einigen Spielern wie Carlsen scheint dieser absolute Wille zum Sieg bisweilen abhanden zu kommen. Sein Potenzial ist riesig. Doch manches erinnert auch ein wenig an einen verträumten Studenten. Sich etwas treiben lassen. Ach, wieder eine Partie verloren. Okay, es gibt schlimmeres. Auch die vielen Anand Remispartien ( 9 Stück alleine in Wijk aan Zee) würde ein Bobby Fischer kritisch sehen. Ihm waren blutleere Remis ein Greuel. Hikaru Nakamura wird jetzt natürlich an diesem Siegeswillen vom Tata Steel Chess 2011 gemessen. Es wird sich zeigen wie ernst es ihm mit dem Gewinnen ist. 

Magnus Carlsen gewinnt London Chess Classic 2010

Schachgenie Magnus Carlsen bekam vor einer Woche eine kalte Dusche in London. In der Auftaktpartie verlor er mit den schwarzen Steinen gegen Luke McShane. Ich mochte Auftaktniederlagen in meiner aktiven Turnierschachphase wie  zugefrorene Autotüren oder eine Übernachtung auf der A 9 über Nacht im Dezember 2001. So eine live erlebte Nacht mit allen Facetten (Einsatzkräfte des THW, Verteilen von Tee an Familien mit Kindern, Chaos, einsetzende Dunkelheit, Schneetreiben, LKWs die über 3 Spuren queer stehen) wünscht man sich persönlich nicht so schnell wieder. Ich war damals an einem Freitag auf dem Weg von Leipzig zu meiner Liebsten in Nürnberg.

Doch zurück zu Magnus Carlsen. Er hat sich dann in der zweiten Runde mit einem Sieg gegen Michael Adams schadlos gehalten. Doch in der 3. Runde setzte es wieder eine Niederlage gegen Viswanathan Anand. In den letzten 4 Runden holte Carlsen dann mit 3 Siegen und einem Remis gegen Kramnik die erforderlichen Punkte zum Turniersieg beim London Chess Classic 2010.

Magnus Carlsen hat also seinen Vorjahressieg verteidigen können. Nach dem Verlust des Blitzschachweltmeister Titels kürzlich in Moskau, ein versöhnlicher Jahresabschluß für den Zwanzigjährigen Norweger. London hat im Schach einen guten Klang. Das Wort Tradition wird ja oft auch inflationär gebraucht. Für London und die Schachgeschichte treffen die neun Buchstaben jedoch 100% zu. Jens-Erik Rudolph geht unter dem Titel Schachwelt anno Tobak (2) – London 1851 im Blog der Schachwelt tief in die Historie hinein. Die Männer haben damals ohne Bedenkzeit agiert. Teilweise wurden für einen Schachzug sagenhafte 2 Stunden Gehirngymnastik investiert.