Pressemitteilung vom DOSB in der Personalie Claudia Pechstein

Es ist eine unendliche Geschichte. Deutschlands erfolgreichste Winterolympionikin Claudia Pechstein. Sie erlief olympische Medaillen in einer Kontinuität, die sie zum Vorbild für zahlreiche deutsche Sportfans machte. Doch die letzten Jahre musste sie einen zusätzlichen Kampf ausfechten. Claudia Pechstein im November 2009 auf ihrer Website:

,,Der Alptraum geht weiter. Mit Urteil vom 25. November 2009 hat der Internationale Sportgerichtshof CAS die Sperre gegen mich bestätigt. Demnach kann ich bis auf  Weiteres nicht bei Wettkämpfen starten und meine sechste Teilnahme an den Olympischen Spielen im Februar 2010 in Vancouver ist damit weiter ungewisser denn je.

Das zu akzeptieren, ist für mich unglaublich hart. Nach dem wochenlangen, unwürdigen Hin und Her war das Urteil aber abzusehen. Ich bin nicht mehr über das Ergebnis geschockt, sehr wohl aber darüber, wie es zustande gekommen ist. Erst die ISU, jetzt der CAS. Ich habe lernen müssen, dass es ausgerechnet vor Sportgerichten offenbar keinen Platz für das im Sport so oft beschworene Fair Play gibt. Ich habe nie gedopt und ein reines Gewissen.”

Ihr langjähriger Trainer Joachim Franke nach dem Urteil vom 25. November 2009:

,,Es ist eine Katastrophe, ein absolutes Fehlurteil. Sie hat nie eine Leistung manipuliert. Insofern ist die Entscheidung nicht nachzuvollziehen.”

Heute schreiben wir den 29. Januar 2015. Nachfolgend die ungekürzte Pressemitteilung vom DOSB.

Pressemitteilung vom DOSB

Die vom DOSB um Rat gefragten fünf medizinischen Experten sind unabhängig voneinander zu der Erkenntnis gelangt, dass die medizinische Bewertung, die Grundlage des Dopingurteils gegen Eisschnellläuferin Claudia Pechstein war, falsch gewesen ist. „Alle Gutachter kommen zum Schluss, dass anhand der Blutbildverläufe und Erythrozyten-Merkmale von Claudia Pechstein ein Doping-Nachweis nicht geführt werden kann“, schrieb Prof. Dr. Wolfgang Jelkmann, Direktor des Instituts für Physiologie an der Universität zu Lübeck, nun an DOSB-Präsident Alfons Hörmann.

Bei den Experten handelte es sich neben Prof. Dr. Jelkmann um: Prof. Dr. Mathias Freund, den Geschäftsführenden Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO), Prof. Dr. Else Heidemann, die Chefärztin und Spezialistin für Hämatologie und Onkologie des Diakonie-Klinikums Stuttgart, Prof. Dr. Wilhelm Schänzer, den Leiter des Instituts für Biochemie der Deutschen Sporthochschule Köln, sowie den Italiener Prof. Dr. Alberto Zanella, langjähriger Direktor der hämatologischen Abteilung der Universitätsklinik Mailand. Der weltweit anerkannte Hämatologe war u.a. als Gutachter der Internationalen Eisschnelllauf-Union (ISU) im Verfahren gegen Claudia Pechstein tätig.

Aufgabe der vom DOSB im Oktober 2014 um Rat gebetenen Experten war es, die bisher vorgelegten medizinischen Fachgutachten und Diagnosen zusammenfassend zu bewerten. Dazu gehörten, so teilte Prof. Dr. Jelkmann mit, „Stellungnahmen für die ISU von Prof. Dr. Giuseppe d’Onofrio, Prof. Dr. Winfried Gassmann, Dr. Pierre-Edouard Sottas; Material aus den die Sache betreffenden Verfahren, Gutachten und Stellungnahmen von Prof. Dr. Hubert Schrezenmeier, Prof. Dr. Hermann Heimpel (†), Prof. Dr. Anjo Veermann, Prof. Dr. André Tichelli, Prof. Dr. Alberto Zanella, Prof. Dr. Gerhard Ehninger, Prof. Dr. Stefan Eber und Prof. Dr. Elisabeth Kohne, Dr. Rasmus Damsgaard, Dr. Klaus Pöttgen, Prof. Dr. Walter Schmidt und Prof. Dr. Lothar Thomas. Von besonderer Bedeutung für die Beurteilung des Falles sind die Arztberichte von Prof. Dr. Stefan Eber und Prof. Dr. Elisabeth Kohne, die international anerkannte Spezialisten auf dem Gebiet der Pädiatrischen Hämatologie und hereditärer Anomalien der roten Blutzellen sind und Frau Pechstein ärztlich untersucht und betreut haben“.

„Die von uns um Rat gebetenen Experten kommen zu einem klaren Ergebnis. Danach gibt es die vielen Fragezeichen in der Causa Pechstein zu Recht“, sagt DOSB-Präsident Alfons Hörmann: „Wir haben uns schon im Herbst beim Internationalen Sportschiedsgerichtshof CAS in Lausanne für die Ermöglichung von Wiederaufnahmeverfahren bei Vorliegen neuer Erkenntnisse eingesetzt. Diesen Vorstoß halten wir auch vor dem Hintergrund des Pechstein-Verfahrens umso mehr für richtig. Wir appellieren an die ISU, eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu prüfen. Unabhängig davon halten wir die Sportgerichtsbarkeit für unersetzbar und richtig im Sinne eines einheitlichen Vorgehens im weltweiten Sport.“ Der DOSB habe eine große Verantwortung gegenüber seinen Athletinnen und Athleten, so Hörmann weiter: „Dieser stellen wir uns hier mit allen daraus resultierenden Konsequenzen.“

Claudia Pechstein war von der ISU im Juni 2009 auf Grund eines indirekten Dopingnachweises, basierend auf erhöhten Retikulozytenwerten, für zwei Jahre gesperrt worden. Der Internationale Sportgerichtshof CAS hatte die Sperre im November 2009 bestätigt. Das Schweizer Bundesgericht lehnte Pechsteins Revision gegen die CAS-Entscheidung im September 2010 aus formalen Gründen ab. Zahlreiche medizinische Experten haben seitdem immer wieder darauf hingewiesen, dass Claudia Pechstein zu Unrecht verurteilt sein könnte, da sie eine vom Vater vererbte Blut-Anomalie habe, die ihre erhöhten Retikulozytenwerte erklären könne.

Der Fall von Claudia Pechstein ist einzigartig und wird es wohl bleiben, da die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) kurz nach dem Verfahren im Jahr 2009 ihre Regularien grundlegend änderte. Nach dieser Regeländerung müssen zwingend mehrere Blutparameter auffällig sein, um einen indirekten Beweis für ein mögliches Dopingvergehen zu begründen.

Der DOSB wird die Stellungnahmen der fünf Experten im Laufe des Tages auf seiner Homepage unter www.dosb.de veröffentlichen.

-Ende-

Nachdenkenswert #197

,,Zur Erinnerung: Am 1. Juli 2009 hat mich der internationale Eislaufverband (ISU) wegen eines einzigen abnormalen Blutparameters gesperrt und der nationale Verband (DESG) die Sperre in Deutschland umgesetzt. Am 25. November 2009 wurde diese Verbandsentscheidung vom internationalen Sportgericht (CAS) bestätigt. Ohne Beweis. Ohne positiven Dopingbefund. Das macht mich auch heute noch wütend. Denn ich habe nie gedopt, nie ein verbotenes Medikament oder Mittel genommen, nie eine verbotene Methode angewandt, nie einen Dopingtest verpasst. Alle meine fast 500 Kontrollen waren negativ! „

Claudia Pechstein, 5-fache Eisschnelllaufolympiasiegerin, 6-fache Weltmeisterin, 3-fache Europameisterin, erinnert auf ihrer Website an ihre Sperre ohne positiven Dopingbefund

Stimmen zum Fall Claudia Pechstein

Nach dem Urteil des Sportgerichts gab es viele Stimmen zur Personalie Claudia Pechstein. Eine kleine Stimmensammlung.

Die erfolgreichste Winterolympionikin Deutschlands meldet sich auf ihrer Webseite zu Wort:

Claudia Pechstein:,,Der Alptraum geht weiter. Mit Urteil vom 25. November 2009 hat der Internationale Sportgerichtshof CAS die Sperre gegen mich bestätigt. Demnach kann ich bis auf  Weiteres nicht bei Wettkämpfen starten und meine sechste Teilnahme an den Olympischen Spielen im Februar 2010 in Vancouver ist damit weiter ungewisser denn je.

Das zu akzeptieren, ist für mich unglaublich hart. Nach dem wochenlangen, unwürdigen Hin und Her war das Urteil aber abzusehen. Ich bin nicht mehr über das Ergebnis geschockt, sehr wohl aber darüber, wie es zustande gekommen ist. Erst die ISU, jetzt der CAS. Ich habe lernen müssen, dass es ausgerechnet vor Sportgerichten offenbar keinen Platz für das im Sport so oft beschworene Fair Play gibt. Ich habe nie gedopt und ein reines Gewissen.“

Joachim Franke (langjähriger Trainer von Claudia Pechstein):,,Es ist eine Katastrophe, ein absolutes Fehlurteil. Sie hat nie eine Leistung manipuliert. Insofern ist die Entscheidung nicht nachzuvollziehen.“

Fritz Sörgel (Pharmakologe, Leiter des Instituts für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung): ,,Ich denke, dass von Anfang an klar war, dass es in diese Richtung laufen musste. Ich habe gleich gesagt, dass es sehr schwierig werden wird, hier Gegenargumente zu finden. Es ist immer eine gewisse Unsicherheit mit drin, aber die ist im Fall Pechstein sehr klein.“

Wilhelm Schänzer, Leiter des Instituts für Biochemie an der Deutschen Sporthochschule Köln: ,,Ich bin sicher, dass der indirekte Nachweis von Doping-Missbrauch aufgewertet wird und die Entscheidung eine positive Stimmung bei den Verbänden erzeugt. Nicht wohl ist mir aber, dass das Urteil nur auf einen Parameter, die erhöhte Anzahl von Retikulozyten im Körper, beruht.“

Detlef Thieme, Leiter des Instituts für Dopinganalytik und Sportbiochemie in Kreischa: ,,Das Prinzip ist bestätigt. Individuelle Blutprofile und Blutpässe werden an Bedeutung gewinnen. Wichtig ist, wie sind die Details beschaffen, was wird uns für die Praxis mit an die Hand gegeben.“

Helge Jasch (Teamchef Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft): ,,Mir verschlägt es die Sprache, ich bin platt. Jetzt ist das Urteil da, es schwächt sportlich unser Team. Wir haben schließlich nicht 20 Leute, die Medaillen gewinnen können.“

Udo Sprenger (Vizepräsident Bund Deutscher Radfahrer): ,,Ich denke, die indirekte Beweisführung müssen und sollten wir zulassen. Ansonsten ist das ganze Prozedere mit Blutpassprogramm etc. hinfällig.“

Clemens Prokop, Präsident Deutscher Leichtathletik-Verband (DLV): ,,Die Entscheidung dürfte die Qualität der Doping-Bekämpfung spürbar verändern. Sie wird in Zukunft nicht mehr isoliert nur auf die Kontrollen abgestellt. Nun wird die Summe der Fakten ein Gleichgewicht erhalten.“

Thomas de Maiziere (Bundesinnenminister): „Das Urteil ist für Claudia Pechstein menschlich bitter. Sie war bis zum heutigen Tag für viele Sportbegeisterte, auch für mich, ein großes Vorbild. Das Disziplinarverfahren gegen Claudia Pechstein als Bundespolizistin wird wieder aufgenommen, wenn das Urteil rechtskräftig ist. Für den internationalen Sport ist das Urteil wegweisend. Es lässt den Indizienbeweis zum Nachweis von Doping zu. Der Nachweis eines einzelnen Dopings im konkreten Fall ist nicht mehr notwendig. Damit kann der internationale Sport sauberer werden. Als deutscher Innenminister erwarte ich allerdings, dass solche strengen Maßstäbe nicht nur gegenüber unseren Athleten, sondern weltweit angewandt werden.“

Weiterführende Artikel zum CAS-Urteil gegen Claudia Pechstein

1. Ein wertvoller Umweg

2. 63 Seiten, zwei Jahre, eine Verliererin

3. Pechsteins düsteres Ende

4. Im Zweifel gedopt

5. „Ich fühle mich unwohl mit dem Urteil“