Günter Netzer: „Wir lebten in verschiedenen Welten. Helmut Schön hat das respektiert. Das war seine Größe.“

Platzfrage hin oder her. Für gute Fußballwerke wird sich immer noch ein Platz finden lassen. Die Zeit der WM-Bücher ist auch eine Frage der Selektion. Dieser Tage nahm ich aus meinem Regal das Buch Argentinien 1978 aus der Reihe Süddeutsche Zeitung WM-Bibliothek in die Hand. Traveler Digital Camera

Es war das letzte Weltmeisterschaftsturnier von Bundestrainer Helmut Schön, dem erfolgreichsten Nationaltrainer in der Geschichte des DFB. Vizeweltmeister 1966, WM-Dritter 1970, Weltmeister 1974. Dazu kam der EM-Titel 1972 und die Vizeeuropameisterschaft 1976. An dieser Bilanz müssen sich alle seine Nachfolger messen lassen. Am nächsten kam ihr Franz Beckenbauer mit dem Finaleinzug 1986 und dem Weltmeistertitel 1990. Danach erreichte nur Rudi Völler einen WM-Finaleinzug. Weder den oft in den Medien überschwenglich gehypten Jürgen Klinsmann oder Joachim Löw gelang dieses deutsche Klassenziel. Berti Vogts konnte immerhin 1996 die Europameisterschaft gewinnen. Seither auch keine Domäne der DFB-Elf mehr. Das Kapitel Ribbeck lasse ich hier an der Stelle bewusst außen vor.

Im besagten Fußballbuch über die Weltmeisterschaft 1978 in Argentinien aus der WM-Bibliothek der Süddeutschen Zeitung kommt auf Seite 82 und 83 auch Günter Netzer, den ich kürzlich beim SWR UniTalk in Konstanz smart und entspannt auf der Bühne plaudernd erlebte, zu Wort und schreibt über seinen Bundestrainer unter dem Titel „Wir lebten in verschiedenen Welten. Helmut Schön hat das respektiert. Das war seine Größe.“, in höchster Anerkennung:

,,Und das ist es, was mich Frieden schließen ließ mit Helmut Schön: Er hat es erkannt. Er wusste, dass er uns, diese Mannschaft der ersten siebziger Jahre, einfach laufen lassen musste. Und er hatte es nicht nötig, sich auf unsere Kosten zu profilieren. Er wollte gewinnen, wir wollten gewinnen, wir wussten, dass wir dazu unsere Freiräume brauchten und uns taktische Zuordnungen langweilten, er wusste es auch. Er ließ uns gewähren. Ein großer Trainer. Ein großer Mensch.“

Der gebürtige Dresdner Helmut Schön hatte nicht nur ein Händchen im Umgang mit seinen Spielern, ihm gelang auch die Balance zwischen überragenden sportlichen Erfolg mit der Nationalmannschaft und einer schönen Spielweise. Speziell die Europameisterschaft 1972 lässt Fußballkenner immer noch mit der Zunge schnalzen. Das er hin und wieder doch eine taktische Zuordnung vornahm, wie im WM Finale 1974 mit der Manndeckung von Berti Vogts gegen den niederländischen Regisseur und König Johan Cruyff, war nicht zum Schaden der Mannschaft.

Derweil geht es weiter im WM-Fahrplan von Übungsleiter Löw.

Noch ein abschließendes Wort zum Thema Fußballbuch. Jetzt drängeln ja viele Verlage mit Publikationen in diversen Buchhandlungen und Online-Plattformen. Ich mag dabei auch immer Verlage die eine gewisse Kontinuität und Qualität fernab der reinen Massenware vorweisen können. Dieser Tage werde ich auch nochmal beim Verlag Die Werkstatt vorbeischauen. Deren Fußballbücher haben  oft das besondere, die liebevoll aufbereiteten Werke haben mich da auch noch nie enttäuscht. Auch zwischen den WM-Jahren.

Vor 40 Jahren: BRD – Chile

Übungsleiter Löw bastelt an seiner Stammformation für die WM 2014 herum. Das Testspiel gegen Chile, 2009 aufgrund der tragischen Ereignisse mit dem Suizid von Robert Enke abgesagt, steht auf dem Plan. Die Südamerikaner waren vor 40 Jahren bei der WM 1974 in der Vorrunde der Gruppengegner der BRD. Die deutsche Fußballnationalmannschaft war einer der Titelfavoriten. Damals unter Leitung von Erfolgscoach Helmut Schön. Auf dem Platz agierten selbstbewusst Spieler wie Franz Beckenbauer, Paul Breitner, Gerd Müller oder Uli Hoeneß. Letzterer lieferte im alten Jahr unschöne Schlagzeilen.Traveler Digital CameraDoch wir wollen uns heute auf das sportliche konzentrieren. Damals gab es einen knappen 1:0 Erfolg der Mannschaft mit dem Bundesadler. Ein präziser Schuß von Paul Breitner sorgte für den Siegestreffer. Ich habe eine Kurzversion und eine Langversion vom Spiel anzubieten. Zuerst die zeitsparende Videosequenz.

Jetzt die lange Version für alle Strohwitwer, Singles und ausdauerstarken Fußballfreunde.

Vor 35 Jahren bildet sich nach einem Fußballspiel zwischen Deutschland und Österreich der Mythos Córdoba

Die Fußball-WM 1978 hat viele Geschichten. Traurige, fernab des Fußballplatzes. In Argentinien ist die Militärdiktatur an der Macht. Das Turnier soll auch zur Reputation des Regimes dienen.

Wie sauber ist das 6:0 von Argentinien gegen Peru?

Die Brasilianer hinterfragen heute noch jenes ominöse 6:0 von Argentinien gegen Peru. Der damalige Spielmodus versetzte den Gastgeber in die komfortable Situation, zu wissen wie hoch der Sieg ausfallen musste, um in das Endspiel zu kommen. Die Gauchos wussten die Gunst der Stunde gegen eine erschreckend schwach dagegen haltende Mannschaft zu nutzen. Es ranken sich Gerüchte, Vorwürfe und Ungereimtheiten um dieses Peru-Spiel. Europäische Mannschaften haben wieder in dem Vizeweltmeister von München einen würdigen Vertreter. Die Niederländer spielen ohne König Johan Cruyff und kämpfen sich nach 1974 ein weiteres Mal in das Finale, um eine erneute Niederlage gegen den Ausrichter der WM hinzunehmen. Mario Kempes schießt unwiderstehliche Tore und hat einen Lauf. 6 Tore machen ihn zum Torschützenkönig. Trainerstar wird Kettenraucher Menotti.

Österreich setzt in der Qualifikation und in der Vorrunde erste Duftmarken

Österreich hatte sich in der WM-Qualifikation gegen den Olympiasieger von Montreal 76, die Mannschaft der DDR mit Trainerlegende Georg Buschner, durchgesetzt und trumpfte auch in der Vorrunde auf. Spanien und Schweden wurden durch Siegtore von Hans Krankl bezwungen. Selbst die knappe Niederlage in der Abschlusspartie gegen Brasilien konnte den Vorrundengruppensieg nicht verhindern. Österreich hatte eine erste Duftnote in Argentinien gesetzt. Helmut Schön coachte die deutsche Mannschaft ein letztes Mal durch ein Turnier. In der Vorrunde gab es in Buenos Aires ein torloses Remis gegen Polen. Dann folgte in Córdoba ein 6:0 gegen Mexiko. Im abschließenden Vorrundengruppenspiel gab es nochmals ein 0:0. Tunesien war der Kontrahent in Córdoba.

Sportsoziologe Matthias Marschik zu Mythos und Realität von Córdoba

So damit hätten wir bereits die Zutaten für das Mythos-Rezept Córdoba. Deutschland und Österreich trafen nach den Ergebnissen der Vorrunde in der 2. Finalrunde vor 35 Jahren am 21. Juni 1978 aufeinander. Das Spiel ging, damit verrate ich keine Neuigkeit, 3:2 für Österreich aus. Der Radioreporter Edi Finger wurde nachträglich in einen Kultstatus gehoben, den die Fußballer mit dem Sieg ebenfalls erreichten. Im Interview mit der  Wiener Zeitung hat der Sportsoziologe Matthias Marschik auch Stellung zu Mythos und Realität von Córdoba genommen.

,,Córdoba ist inzwischen zu einem Begriff geworden, den verschiedenste Leute in Österreich mit verschiedensten Inhalten füllen. Das heißt, es ist ein leerer Begriff. Ich kann diesen Begriff national auf Österreich anwenden, ich kann ihn aber auch mit Wien verbinden. Es ist ja nicht so, dass die Aversion gegen Deutschland in Tirol oder Salzburg so stark verbreitet wäre wie im Osten Österreichs. Das ist im Grunde eine Wiener Geschichte. Ich kann den Begriff aber auch mit Sport und sogar mit der Politik verbinden, wo die Botschaft lautet, dass der Kleine gegen den Großen, seien es jetzt die Deutschen oder auch die EU, immer noch eine Chance hat. In diesen David-gegen-Goliath-Mythos Córdobas lässt sich alles hineininterpretieren und fast alles auch damit begründen. Daher ist Córdoba auch überall als Begriff so akzeptiert und eigentlich unantastbar geworden.“

In jenem besagten Sommer 78 arbeite ich übrigens erstmalig in den großen Ferien mit meinem Schulkumpel Udo 3 Wochen auf dem Fleischhof. Während einer Fußball-WM. Gutes Timing geht anders. Die Anfahrt zur Ferienarbeit mit der Straßenbahn war immer eine kleine Auswertung des vorrangegangenen Spieltags der WM. Auf dem Werksgelände des riesigen Fleischverarbeiters gab es dann allerdings nichts, was an Fußball erinnerte. Der Fokus lag auf Fleisch, Fleisch und nochmals Fleisch. Wir sahen und erlebten auf dem Fleischhof, dem größten der großen Stadt, auch sehr unappetitliche Dinge. Der Bedarf an Fleisch war auf Wochen gedeckt. Aber dies ist wieder eine andere Geschichte.

Kann Deutschland unter Löw Weltmeister werden?

Die Daten sind in jedem Fußballanhänger fest verankert. 1954 Bern. 1974 München. 1990 Rom. Die deutsche Nationalmannschaft kam von diesen Endspielorten mit dem Weltmeistertitel in die Geschichtsbücher.

Ist dies unter dem Übungsleiter Löw eigentlich auch für 2010 vorstellbar? 

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Kann der einstige Fußballer vom SC Freiburg in die Fußstapfen von Sepp Herberger, Helmut Schön oder Franz Beckenbauer treten? Hat er das Charisma, die strategischen und taktischen Fähigkeiten, die stimmige Feinfühligkeit im Umgang mit den einzelnen Spielern? Ich weiß es nicht.

In den bisherigen Weltmeistermannschaften waren immer Männer. Richtige Männer. Mit Courage, Rückgrat und eigener selbstbewusst geäußerter Meinung. Mit dem jetzigen Kader kann Löw eigentlich nicht Weltmeister werden, es sein denn er bekommt so einen Dauer-Glückskuss beim Turnier vom Universum wie einst Rehagel mit Griechenland bei der EM 2004.