Nachdenkenswert #276

,,Wer die Akten kennt hat die Nase vorn. Diesmal ist es der SWR. Glückwunsch an die Kollegen! Tag für Tag sickert immer mehr aus den alten Ermittlungsakten der Freiburger Staatsanwaltschaft. Die Informationen beruhen auf Zeugenbefragungen in einem Ermittlungsverfahren wegen Rezeptbetruges gegen den Freiburger Dopingarzt Prof. Dr. Armin Klümper. Es sind Aussagen – die in ihrer ganzen Schönheit und Länge – sehr detailliert Aufschluß darüber geben, was Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre damals alles praktiziert wurde. Beim Fußball-Bundesligisten VfB Stuttgart. „

Fred Kowasch, Gründer und kritischer Zeitgeist vom unabhängigen Online-Dienst sportspool.tv über Doping im Fußball: Was als nächstes kommen wird ….

Doping im Sport ist Bullshit

Nein, Doping ist kein Kavaliersdelikt. Es ist Bullshit. Doping im Sport ist Bullshit. Es ist weder im Radsport, Gewichtheben, im Wintersport, beim Schwimmen, in der Leichtathletik oder der medialen Königsdisziplin Fußball akzeptabel.

Die unendliche Geschichte von brutalen Doping im Industriegewerbe Hochleistungssport wird in bizarrer Kontinuität jährlich um weitere Fälle fortgeschrieben. Schnell ist auf Akteure wie Velo-Jesus Lance Armstrong gezeigt. Doch wer zieht die Fäden im Hintergrund und warum erscheint manch lautstark hervorgebrachter Aufklärungswillen bei näherem hinschauen als Sturm im Wasserglas!? Doping erscheint in einigen Sportarten gar systemrelevant zu sein.

Nein, ich habe keine Lust den Moralapostel zu spielen. Doch irgendwie verliert man an einigen Sportarten die Lust. So wurde einst die Höllentour Tour de France auf dem Altar der Epo Storys geopfert. Stammleser kennen meine Meinung zur Hassliebe Tour de France.

,,Höllenqual, der Mund schon lange trocken, die Waden schmerzen, die Arme vibrieren, am Lenker wird gezerrt, doch es sind noch 6 Kilometer bis L’Alpe d’Huez. Scheiß Höllentour.

Noch ein Tritt. Noch ein Tritt. Noch ein verdammter Tritt. Erbarmungsloser Fight gegen sich selbst. Der Puls scheint die Schädeldecke öffnen zu wollen.

Die Sonne peitscht den Asphalt, die Gesichter und den Rücken der Radprofis. Die Arme schmerzen. Die Beine lösen sich auf. Noch ein paar Meter.

Simpson, Tommy. Mount Ventoux 67. Scheiße. Todeskampf, Hubschrauber. Einsatzkräfte. Flug in das Krankenhaus. Alles zu spät. Sinnlos. Mount Ventoux der Killerberg. Die Todeszone. Die surreale Mondlandschaft. Die Bilder seiner Todesfahrt gehen um die Welt.

Denkmäler. Sie stürzen ein wie ein Kartenhaus bei starker Zugluft. Anquetil, Bobet, Fignon, Armstrong, Merckx,  Jan Ullrich, Contador, Guerilla-Pirat Pantani, Landis, Indurain, Winokurow, Millar, Hamilton, Zabel, Riis, Cancellar, Kohl, Rasmussen. Wanken. Bröckeln. Die Heroes kommen ins straucheln. Ich bin empört. Wütend. Phlegmatisch. Gleichgültig. Desillusioniert.

Die Doping-Scheiße. Schlimmer wie Lepra. Fukushima. Tschernobyl. Krebs in der Endphase.

Ich will diesen Zirkus ohne Doping. Ohne Bluteigendoping. Keine Klebestreifen an Hotelwänden zur Befestigung der Blutbeutel. Kein Motoman mit dicken Cocktail-Kurier-Taschen. Keine Rolex für zuverlässige Überbringerdienste am Ende der Tour.

Man möchte die Kiste abschalten. Nein, Fenster auf. Das TV-Monster über die Terrasse geschmissen in bester Kinski Manier.“

Jetzt macht der Fußball negative Schlagzeilen. Manch Erfolg vergangener Jahre erscheint in anderem Licht. Dieser Tage titelte der unabhängige Informationsdienst sportspool.tv Zwei Seiten: Doping in der Fußball-Bundesliga und nahm sich der Freiburger Papiere der Evaluierungskommission an.

Muss schon wieder ein TV-Gerät über die Terrasse geschmissen werden?

Nachdenkenswert #275

,,Der Fußball muss seine Selbstreinigungskräfte mobilisieren oder sich helfen lassen, denn ich glaube, dass das Maß irgendwann voll ist. Es war schon immer so, dass ab einer gewissen Dekadenz auch große Systeme zerbrochen sind. Dann kippt das und wir gucken vielleicht Handball.“

Perikles Simon, Dopingforscher und Mitglied der Untersuchungskommission zur Aufarbeitung der Doping-Vergangenheit an der Universität Freiburg, im Interview mit dem Tagesspiegel, über das Tabuthema Doping im Profifußball

Ines Geipel im Interview mit Badische Zeitung: „Das ist so, als wenn sich der Spieler selbst auf die Hand pinkeln würde, um mal ein deutlicheres Bild zu bemühen.“

Die ehemalige Sprinterin Ines Geipel, profunde Doping-Expertin, hat sich nicht nur über das Dopingproblem in der Leichtathletik geäußert. Auch der Fußball und der Umgang mit Dopingproben wird von ihr scharf im Interview mit Badische Zeitung kritisiert.

,,Was sagt das schon? Sämtliche Kontrollen während der WM haben unter der alleinigen Hoheit des Fußball-Weltverbands (Fifa) stattgefunden. Das ist so, als wenn sich der Spieler selbst auf die Hand pinkeln würde, um mal ein deutlicheres Bild zu bemühen. Wer die Spiele angeschaut hat, dem war klar, dass wir in einem völlig neuen Spiel sind, was Aggressivität, Physis der Spieler und Schnelligkeit angeht. Und diese neue Performance kommt nun mal nicht von ungefähr. Den Fans ist das egal, aber ohne Chemie ist das schlichtweg nicht drin.“

Ines Geipel war vor 14 Jahren im Jahr 2000 Nebenklägerin im Prozess gegen die Drahtzieher des DDR-Zwangsdopings. Die gebürtige Dresdnerin ist heute Professorin für Verssprache an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch sowie Vorsitzende der Doping-Opfer-Hilfe.