Deutschland gegen Argentinien oder Maradona – ein Grenzgänger zwischen Genie und Wahnsinn. Teil 1

Maradona war ein 100-Megawatt-Kraftwerk mit Sicherungen für zwei bis drei Hof-Laternen. Verrückt ist er nicht – aber die Tassen in seinem Schrank werden weniger. Zuerst zu einem magischen Moment in der Laufbahn von Diego Maradona. 

Rückblick. Ich sehe es sofort wieder vor mir. Sommer. Fußball-WM in Mexiko. Wir schreiben den 22. Juni 1986. Mexiko-City. Das ausverkaufte Aztekenstadion. Im WM Viertelfinale trifft Argentinien auf England. Durch ein unglaubliches Tor mit der Hand Gottes bringt Diego Armando Maradona seine Mannschaft mit 1:0 in Führung. Dann erlebt die Fußballwelt im Hexenkessel die spektakuläre 54. Minute. Hector Enrique spielt einen präzisen Pass auf Maradona. Er nimmt den Ball in der eigenen Spielhälfte an. Mit Ball am Fuß und einer bewunderswerten Leichtigkeit und Zielstrebigkeit läuft Diego in Richtung Shilton Tor. Auf einer Distanz von 60 Metern umkurvt Maradona englische Spieler reihenweise, wie Maria Riesch die Slalomstangen in Vancouver. Die ersten die auf englischer Seite dran glauben müssen sind Glen Hoddle, Peter Reid, Kevin Sansom. Später folgen Terry Butcher sowie Terry Fenwick. Die englischen Fußballer sind Statisten in einem der historisch schillerndsten Augenblicke der Fußballgeschichte. Diego Maradona hat noch einen vor sich. Den englischen Keeper Peter Shilton. Er läßt den Torwart aussteigen und schießt den Ball zum entscheidenden 2:0 für die argentinische Mannschaft ins Tor.  Ein Jahrhunderttor.

Diego Maradona hat als Spieler auf dem Feld alles an Fertigkeiten gehabt. Ein genialer Zauberer. Diego Maradona ist jedoch auch der unberechenbare Mann außerhalb des Platzes. Im richtigen Leben gab es sehr oft entsetzliche Fehltritte und intensive Zweifel an seiner Persönlichkeit. Da sind die Schüsse auf Journalisten mit einer Schrotflinte oder der Dopingskandal bei der WM 94, die Magenverkleinerung und die unsäglichen Bilder mit Fidel Castro , Entziehungskuren, Beschimpfung der Medienvertreter in derber Sprache unterhalb der Gürtellinie. Alleine seine Zeit außerhalb des Platzes in Neapel gibt Stoff für mehrere Verfilmungen.

Jetzt ist Diego Maradona Nationaltrainer von Argentinien. Die faz schreibt im Artikel Patron Diego:

,,Dass Maradona überhaupt in dieses Amt gekommen ist, im Oktober 2008, ist eigentlich eine unglaubliche Geschichte. Noch vor vier Jahren war er als größter Fan der Argentinier durch Deutschland gereist. In den Stadien, die er gemeinsam mit seinen Töchtern besuchte, schwenkte er zu den Toren des Teams sein liebstes Accessoire, das Trikot der „Albiceleste“. Es musste ihm wie ein Sommermärchen in Himmelblau-Weiß vorgekommen sein – bis er vor dem Deutschland-Spiel mit ein paar Ordnern aneinandergeriet und grantelnd das Berliner Olympiastadion verließ. Ohne ihren größten Talisman schieden die Argentinier aus.“

Solche Geschichten wären in Deutschland undenkbar. Ich habe noch ein historisches Dokument aus dem Jahr 1982 bei youtube ausgegraben. Diego Maradona war jung und brauchte das Geld.

Maradona ist der emotionalste Coach beim laufenden WM-Turnier. Wir kennen alle noch die Bilder vom Trainerneuling Jürgen Klinsmann an der Seitenlinie 2006. Der begleitende Film von Sönke Wortmann brachte zudem Einblicke in die Power-Motivationssprüche des polyglotten Individualisten Klinsmann in der Kabine. Was für eine Inszenierung. PR in eigener Sache. Über seine Zeit als Vereinstrainer-Novize bei Bayern München schweige ich jetzt lieber.  Maradona ist stolz auf seinen Job. In der Süddeutschen Zeitung kommt er im Interview zu Wort:

«Natürlich fühle ich mich, als würde ich das Trikot anziehen und auf den Platz gehen. Es ist großartig, sich wie ein Puzzleteil dieses Teams zu fühlen. Ich bin sehr stolz, diesen Moment teilen zu können. Man hat vorher gesagt, als Coach hätte ich keine Ahnung und keine Ideen. Plötzlich gewinne ich vier Spiele. Aber ich habe mich nicht verändert und ich werde auch morgen derselbe sein. Gewinnen fühlt sich immer großartig an, als Spieler, als Trainer.»

Nach dem Mexiko Spiel verlängerte der Grenzgänger zwischen Genie und Wahnsinn eigenmächtig die Pressekonferenz. Gutes Stichwort. Pressekonferenzen sind ja inzwischen eine besondere  Spezialität von Maradona geworden.  

Da gibt es den den Videoausschnitt von der Pressekonferenz vom Länderspiel gegen Deutschland und den Fauxpas Diego Maradonas gegenüber Thomas Müller. Da ist er wieder, der eingangs erwähnte Gedanke an Maradona. Verrückt ist er nicht – aber die Tassen in seinem Schrank werden weniger. Der Hat-Tip geht an den Kaisergrantler