In der Reihe Sportinsider Interview gab es für meine Stammleser in den letzten Jahren die Interviews mit dem Schachhändler Günter Niggemann, dem Schachbuchverleger Jens-Erik Rudolph, dem Schachbuchautor Uwe Bekemann, der auch das Vorstandsamt des PR-Managers im Deutschen Fernschachbund e.V. (BdF) ausübt, auch der in der Schachszene bekannte Bloggründer Joe Boden kam zu Wort sowie der in Wien geborene Schachgroßmeister Stefan Kindermann, dem neunfachen Mannschaftsmeister und Europapokalsieger 1992 mit Bayern München und seit 2006 Geschäftsführer der Münchener Schachakademie. Heute gibt es das Sportinsider Interview mit dem renommierten Schachpublizisten Johannes Fischer.
Es gibt Stimmen, die Magnus Carlsen eine Ära prognostizieren, in der er permanent den Schachweltmeistertitel verteidigen wird. Wie siehst Du die Situation? Wer und warum kann dem norwegischen Schachstar am ehesten gefährlich werden?
Johannes Fischer: Ich glaube, der Begriff „Ära“ wird schnell verwandt. Als Bobby Fischer 1972 Weltmeister wurde, sprachen viele vom Beginn einer neuen Ära. Aber die war schon vorbei, bevor sie begonnen hatte.
Allerdings finde ich es beeindruckend, wie lange Carlsen schon mit deutlichem Elo-Vorsprung vor allen anderen Spitzenspielern liegt. Da er noch jung ist, glaube ich, dass alle seine jetzigen Konkurrenten nur geringe Chancen haben, ihn als Nummer eins der Schachwelt abzulösen. Natürlich, Sergej Karjakin kann den WM-Kampf im November gewinnen und Weltmeister werden, aber ich glaube, Carlsen würde auch dann weiter die Nummer eins der Welt bleiben und sich den Titel irgendwann zurückholen.
Foto: © Ray Morris-Hill www.rmhphoto.eu
Aber Carlsen kann sich selber gefährlich werden. Vielleicht hört er auf, an seinem Schach zu arbeiten, weil er zu lange die Nummer eins ist, weil er übermütig wird, da ihm lange niemand wirklich gefährlich wurde oder weil ihm ernsthafte Herausforderungen fehlen. Vielleicht nimmt er die Dinge dann zu leicht und nimmt seine Gegner nicht mehr ernst.
Doch wenn Carlsen innerlich stabil und stark bleibt, dann glaube ich, dass er die nächsten fünf bis zehn Jahre die Nummer eins bleibt und das Weltschach dominieren wird.
Foto: © Ray Morris-Hill www.rmhphoto.eu
Doch irgendwann kommt ein neuer Spieler – der jetzt vielleicht noch gar nicht in Erscheinung getreten ist – und löst Carlsen ab. Ich kann mir zwar nicht vorstellen, wie jemand Schach spielt, der besser ist als Carlsen, aber das ist der Lauf der Welt: die jüngere Generation verdrängt die ältere.
Der amerikanische Schachgroßmeister Bobby Fischer ist mein Lieblingsspieler in der Geschichte der Schachweltmeisterschaft. Wie würde ein Match zwischen dem Weltmeister von 1972 und dem jetzigen Champion Magnus Carlsen ausgehen?
Johannes Fischer: Eine müßige, aber interessante Spekulation. Vielleicht war der Fischer von 1972, wenn man die Explosion des Schachwissens, die seitdem stattgefunden hat, in Rechnung stellt, schachlich tatsächlich etwas besser als Magnus Carlsen heute. Vielleicht auch nicht, ich spiele nicht gut genug, um das zu beurteilen. Allerdings glaube ich, dass Fischer in einem Wettkampf gegen Carlsen Probleme bekommen hätte. Carlsen ist psychisch sehr stabil, Fischer war das nicht – um es einmal so zu sagen. Und Fischer hat von 1970 bis 1972 auf dem Weg zur Weltmeisterschaft alle seine Gegner vernichtend geschlagen. Mit Carlsen wäre ihm das wahrscheinlich nicht gelungen, und ich glaube, das hätte ihn irritiert und verunsichert.
Welche Weltmeister würden in einer persönlichen Top Ten in der langen Historie der Schachweltmeisterschaften bei Dir im Ranking aufgeführt?
Johannes Fischer: Ach, das ist schwer zu sagen. Ich finde, jeder Weltmeister hat etwas ganz Eigenes, Besonderes, was seinen Stil attraktiv und einzigartig macht. Bei einer Top Ten Liste zählen deshalb vor allem persönliche Vorlieben. Ich war immer ein großer Fischer-Fan, aber ich glaube tatsächlich, dass Kasparow insgesamt gesehen der vielleicht beste Spieler aller Zeiten war. Er war so lange die Nummer eins der Welt, er hat so viel für das Schach getan, er hat populäre Bücher geschrieben, interessante Schaukämpfe gespielt und versucht, Schach in der Welt zu verbreiten.
Aber trotz all der großartigen Kasparow-Partien, die ich kenne, gefallen mir eine Reihe anderer Weltmeister stilistisch besser. Carlsen, der ausgeglichene Stellungen wie von Zauberhand in Gewinnstellungen verwandelt und Dinge über das Schach zu wissen scheint, die kein anderer weiß, Fischer, dessen kompromisslos klares und reines Schach ich großartig finde, Karpow mit seinem harmonischen Spiel.
Begeistert bin ich auch von Kramnik. In seinen besten Partien habe ich immer das Gefühl, man sieht Schach in Vollendung. Anand ist phantastisch vielseitig. Bei Lasker bewundere ich die Fähigkeit, Ressourcen zu finden und bei Spasski schätze ich die spielerische Dynamik seiner Partien. Petrosian hat immer wieder Pläne und Züge gefunden, die einfach nur erstaunlich sind.
Und auch wenn es mir eigentlich peinlich ist: Ich mag die Partien Botwinniks lieber als die von Tal. Ich wünschte, es wäre umgekehrt, denn nach allem zu urteilen, was ich über Tal und Botwinnik gelesen und gehört habe, war Tal so unendlich viel sympathischer und menschlicher als Botwinnik, aber rein schachlich gefällt mir Botwinniks strenge Logik besser als das manchmal doch irrationale Spiel Tals. Und die ruhige Leichtigkeit Capablancas gefällt mir besser als der Kombinationszauber von Aljechin
Der Name Johannes Fischer ist Schachfreunden in Deutschland ein Begriff. Du bist Schachpublizist mit Meriten bei ChessBase, schreibst Beiträge für den anerkannten Schachblog von Zeit Online und für das Printmagazin KARL. Wie unterscheidet sich Deine Arbeit für die drei? Was waren die bisherigen Höhepunkte in der Zusammenarbeit?
Johannes Fischer: Bei ChessBase arbeite ich fest als Redakteur und betreue die englische Seite. Ich schreibe und redigiere Artikel, ich übersetze Texte vom Englischen ins Deutsche und umgekehrt usw., usw.. Was ein Redakteur eben so tut. Das bringt Spaß, aber ist auch viel Alltagsarbeit.
Der Schachblog der Zeit und die Arbeit beim KARL nehmen natürlich viel weniger Zeit in Anspruch. Im Schachblog der Zeit versuchen wir vor allem, aktuelle Geschehnisse in der Schachwelt aufzugreifen, die im Idealfall über das Schach hinausweisen, zum Beispiel habe ich anlässlich eines Shakespeare-Jubiläums einmal einen Artikel über das Schach bei Shakespeare geschrieben oder ich habe mich gefragt, wie sich das veränderte Zeitgefühl heutiger Generationen auf das Schach auswirkt.
Im KARL mache ich vor allem Porträts und Interviews mit interessanten Personen aus dem Schachleben.
Zusammenarbeit im eigentlichen Sinne gibt es zwischen KARL, dem Schachblog der Zeit und ChessBase kaum. Was mir recht ist, denn so vermeide ich Interessenkonflikte.
Dann führst Du selber noch einen eigenen Blog mit dem Namen Schöner Schein. Dort skizzierst Du den Rahmen mit den Worten:
,,Schöner Schein heißt dieser Blog, denn er beschäftigt sich mit der Welt des Fiktiven, mit Literatur, Film und Schach, Welten, in denen ich gerne unterwegs bin. Gelegentlich mache ich mir dabei Notizen, in diesem Blog öffentlich. Diese Notizen sollen mir und anderen Spaß machen, anregen, informieren und unterhalten. Wenn man so will, sind es Einladungen zu Spaziergängen in die Welt des Fiktiven.“
Was ist auf Schöner Schein für 2016 geplant?
Johannes Fischer: Ideen habe ich viele. Leider nehme ich mir oft nicht die Zeit, sie umzusetzen und dann spuken sie weiter in meinem Gehirn herum und geben keine Ruhe. Manchmal will ich auch einfach zu viel. Anstatt eine kleine, kurze und hoffentlich amüsante Glosse zu schreiben, glaube ich, es muss gleich ein ganzer Artikel sein. Das kostet dann oft zu viel Zeit und ist zu viel Aufwand – und am Ende habe ich nicht einmal die kurze Glosse geschrieben.
Dabei habe ich den Blog angefangen, um unbefangen und unbeschwert über Dinge schreiben zu können, die mich interessieren, die mir auffallen, die ich interessant finde, egal, wie wichtig oder unwichtig sie sind. Aber Leichtigkeit ist eine schwere Sache.
Dennoch, ich hoffe, ich komme 2016 dazu, die Rubrik „Partie des Monats“ regelmäßig fortzusetzen. Außerdem wollte ich ein bisschen über australische Literatur schreiben und über Romane und/oder Filme, in denen Hamburg eine Rolle spielt.
Wie siehst Du die mediale Berichterstattung in Deutschland über Schach in den großen überregionalen Zeitungen wie FAZ und Süddeutsche Zeitung?
Johannes Fischer: Ich muss zugeben, ich lese sowohl die FAZ als auch die Süddeutsche nur gelegentlich. Aber aus der Ferne habe ich den Eindruck, dass beide regelmäßig und gut über Schach berichten, bei großen Ereignissen mehr und intensiver.
Generell glaube ich, dass die Berichterstattung über Schach sehr gut ist, natürlich vor allem Dank des Internets. Man bekommt die Partien aller großen Turniere kurz nach Rundenende, vielleicht sogar mit kurzen Kommentaren versehen. Die Partien vieler Spitzenturniere kann man live verfolgen, von starken Spielern kommentiert und mit anschließender Pressekonferenz, in denen die besten Spieler der Welt verraten, was sie während der Partie gesehen und gedacht haben.
Dazu kommen Turnierberichte, Nachrichten aus der ganzen Welt, Fotos, Videos, all das umsonst. Vor zwanzig oder dreißig Jahren haben Spieler vielleicht davon geträumt, Kasparow, Carlsen, Anand und Kramnik beim Blitzen zuzusehen. Heute scheint das so selbstverständlich, dass man leicht vergisst, welch ein Luxus das eigentlich ist.
Schach ist interessant und interessiert ein breites Publikum. Vor allem Weltmeisterschaften. Ich glaube, die Berichte über die erste Weltmeisterschaft zwischen Carlsen und Anand hatten sowohl bei Zeit-Online als auch bei Spiegel-Online hohe Zugriffszahlen.
Noch ein paar Worte zur Schachbundesliga. Wie ist die Liga aufgestellt in puncto Marketing, der Rolle in den Medien, den Zuschauerzahlen sowie der Spielstärke?
Johannes Fischer: Ach ja, die Bundesliga. Ich glaube, die könnte etwas flotter sein und eine Auffrischung gebrauchen. Wenn ich mit Freunden aus Schachkreisen über die Bundesliga rede, finde ich selten jemanden, der sich wirklich dafür interessiert geschweige denn begeistert. Die Saison ist zu lang, die vielen Rückzüge verzerren den sportlichen Wert der Liga, und es fehlen Vereine, mit denen man sich identifizieren, mit denen man mitfiebern kann.
Das ist schade, denn in der Bundesliga spielen nicht nur unglaublich viele starke Spieler, sondern in der Bundesliga wird auch viel Geld für Schach ausgegeben. Mit dem Gesamtbudget der Liga könnte man sicher ein phantastisches Schachereignis auf die Beine stellen. Aber ich glaube, ein paar Reformen täten der Bundesliga gut.
Ich weiß, technisch ist das alles schwierig und aufgrund von Regeln, Bestimmungen, Traditionen, etc. wahrscheinlich nicht machbar, aber einfach ins Unreine gesprochen, könnte ich mir vorstellen, dass die Bundesliga attraktiver wäre, wenn man sie auf zehn oder zwölf Vereine reduziert, die irgendwann im Laufe des Jahres an einem zentralen Ort um die deutsche Mannschaftsmeisterschaft spielen. Das könnte ein richtiges Schachfestival werden – und vor allem ein Turnier, bei dem sich die besten deutschen Spieler mit der internationalen Spitze trifft.
Noch ein Blick in die Zukunft. Wie siehst Du die Entwicklung der Schach-WM Kämpfe. Zuletzt gab es 2012, 2013 und 2014 den Kampf um die Schachkrone. Der nächste findet bekanntlich im November 2016 in New York statt. Es gab eine Zeit da wurden die Schachweltmeisterschaften verlässlich im 3-Jahres Rhythmus ausgespielt. Was würdest Du Dir in puncto Zeitabstand, Modus und möglichen Austragungsorten wünschen?
Johannes Fischer: Tatsächlich gefällt mir der jetzige Modus recht gut. Alle zwei Jahre eine Weltmeisterschaft scheint mir eine gute Lösung zu sein. Dadurch haben Spieler, die vielleicht beim ersten Anlauf gescheitert sind, die Möglichkeit, relativ schnell einen zweiten Anlauf zu unternehmen. Außerdem verschafft Weltmeisterschaften dem Schach Aufmerksamkeit. Ganz abgesehen davon, finde ich Weltmeisterschaftskämpfe aufregend und ich freue mich jetzt schon auf den November, wenn Carlsen und Karjakin spielen. Danach warte ich lieber zwei als drei Jahre auf den nächsten WM-Kampf.
Ich hoffe, dieser Modus stabilisiert sich und die FIDE kommt nicht auf irgendwelche Reformideen. Vielleicht sind zwölf Partien zwei oder vier Partien zu wenig, aber dafür macht die relativ kurze Dauer der jetzigen Weltmeisterschaftskämpfe jede einzelne Partie spannend.
Auch die Lösung, den Herausforderer in einem Kandidatenturnier ermitteln zu lassen, gefällt mir. Die letzten drei Kandidatenturniere waren einfach großartige Turniere mit Schach auf höchsten Niveau. Dazu noch sehr spannend.
Was den Ort betrifft, so wäre es schön, wenn der WM-Kampf irgendwann einmal in einer europäischen Metropole wie London, Paris oder sogar Berlin stattfindet. Aber angesichts der turbulenten Geschichte der Schachweltmeisterschaften, in denen es keine regelmäßigen Wettkämpfe gab, kann man dankbar sein, wenn die Weltmeisterschaftskämpfe tatsächlich alle zwei Jahre stattfinden und es nur einen Weltmeister gibt.
Vielen Dank für das Interview und weiterhin viel Erfolg.
Johannes Fischer: Gerne und ebenfalls vielen Dank!
Hier geht es zum Blog Schöner Schein von Johannes Fischer.
Aktuell auch ein bemerkenswerter Artikel von Johannes Fischer auf dem Schachblog von Zeit Online unter dem Titel Die Schachweltmeisterin Hou Yifan vertraut nicht mehr aufs Glück.