Die FAZ hält den Druck in Sachen Schachblogs gegenüber dem Wettbewerber Süddeutsche Zeitung weiter hoch. Während die Münchner das Thema Schachblog weiter jungfräulich behandelt wie Martin Schulz seine Wahlsiege, powern die Frankfurter weiter. Dieser Tage publizierte Stefan Löffler auf dem FAZ Schachblog Berührt, geführt einen Artikel unter dem Titel Schulschach als Chefsache. Der Schachjournalist Löffler, einst selber mit einem eigenen Schachblog am Start, hat sich über Jahre in die Thematik Schulschach eingearbeitet. Dies merkt man seinem Text an. Meine Meinung: Schach als Pflichtfach in Deutschlands Schulen ist noch eine Utopie. Das werden wir nicht so schnell erleben.
Dabei ist man andernorts bereits viel weiter wie Stefan Löffler anmerkt:
,,2012 sprach sich das Europäische Parlament für die Einführung von Schach in den Bildungssystemen aus. In Ungarn ist es Wahlfach an den Grundschulen. In Polen wird es diesen Herbst flächendeckend eingeführt. In Armenien ist es sogar Pflichtfach von der zweiten bis zur fünften Klasse. Pädagogische Pionierarbeit wird auch in Italien geleistet und in Dänemark, wo die Schulschachorganisation weit erfolgreicher und größer ist als der nationale Schachverband.“
Verlassen wir für heute an dieser Stelle Stefan Löffler und widmen uns einem Versprechen, dass ich die nächsten Minuten einlösen werde.
In Die unendliche Geschichte der Schachblogs in Deutschland hatte ich es versprochen und löse es heute ein. Beim auspacken eines Pakets mit einer Paketmarke bis 31,5 Kilogramm wollte ich meine geschätzten Leser über meine Schulter schauen lassen. Sie erinnern sich.
Foto: © Michael Wiemer
So, arbeiten wir uns vor. Der Postbote hatte wieder mal ein Paket für Michael Wiemer. Meine Hochachtung vor dem Beruf der Briefträger und Paketmänner ist meinen Stammlesern bekannt. Ein Paket mit erwarteter Inspiration fühlt sich für mich jedesmal wie ein beamen in die Kindheitstage um Weihnachten an. Die fast kindliche Neugierde ist da. Vorfreude stellt sich ein und ich bemerke wie ein Lächeln über mein Gesicht huscht. Doch gemach, gemach. Hier wird kein flüchtiges Multitasking fabriziert. Wir zelebrieren den Moment. Sind im hier und jetzt. Erst noch einen Kaffee trinken. Rehbraun. Die Konsistenz des Kaffees mit der Milch ist mir wichtig. Den kleinen Kaffeelöffel behutsam in der Tasse rühren. Im Uhrzeigersinn. Selbst eine heranstürmende Büffelherde könnte mich bei dieser Zeremonie nicht stören. Der Duft des Kaffees bemächtigt sich meiner Nase. Hhm. Oh, ja. Ein kleines Ritual. Jahrelang eingeübt. Mental auf die wertvolle Sendung vorbereiten. Eine Schach Memorabilia Sammlung mit guten Büchern ist wie ein Garten. Sie wächst und wächst und gedeiht. Dieses Paket wird die Sammlung erweitern.
Foto: © Michael Wiemer
Der Kaffee mundet. Doch ich will meine geschätzten Leser und mich nicht länger auf die Folter spannen. Schauen wir behutsam hinein in das Paket.
Foto: © Michael Wiemer
Michail Botwinnik ist einer meiner persönlichen Heroes in der langen und abwechslungsreichen Geschichte der Schachweltmeisterschaften. Beamen wir uns in das Jahr 1948. Michail Botwinnik gewann seinerzeit das WM-Turnier und damit erstmalig den Weltmeistertitel. Der Schachchampion stammte aus einer gut situierten jüdischen Zahnarztfamilie und kam am 17. August 1911 zur Welt. Erst relativ spät, so die Legende, erlernte Michail Botwinnik das Schachspiel. Mit 12 Jahren. Erstmalig wurde er einem größeren Schachpublikum bekannt im Jahr 1925. Da schlug er den kubanischen Weltmeister José Raúl Capablanca in einer Simultanpartie.
Was geschah nach dem Weltmeistertitel 1948 für Botwinnik? In den folgenden Jahren verlor er den Titel gegen Wassili Smyslow und gegen Michail Tal, holte ihn sich jedoch in den Revanche-Wettkämpfen stets zurück. Dieses zweifache zurückschlagen nach verlorenen WM-Kämpfen ist ein Alleinstellungsmerkmal in der Geschichte der Schachweltmeister. 1963, im Jahr meiner Geburt, spielte Michail Botwinnik vom 23. März bis 20. Mai 1963 in Moskau gegen Tigran Petrosjan um den Weltmeistertitel. Verteidigungsspezialist Tigran Petrosjan holte sich den Titel. Das Recht auf Revanche war mittlerweile abgeschafft. Anlässlich des 50-Jährigen Jubiläums schrieb ich 2013 für ChessBase über das WM-Match Michail Botwinnik vs. Tigran Petrosjan und merkte an:
,,Sein Kontrahent Tigran Petrosjan galt als sehr geschickter Defensivkünstler. Der feinsinnige Armenier perfektionierte über Jahre seine Qualitäten in der prophylaktischen Verteidigung einer Stellung auf dem Schachbrett. An seinem Abwehrbollwerk sollten sich zahlreiche renommierte Schachgroßmeister der Welt die Zähne ausbeißen. Es war äußerst schwer ihn zu bezwingen. Heutige Schachhistoriker verweisen auf die beeindruckende Bilanz bei 10 Schacholympiaden. In 130 Partien gab es 79 Siege, 50 Remis und nur eine Niederlage. Diese Verlustpartie bereitete ihm der deutsche Schachgroßmeister Robert Hübner 1972 in Skopje.“
1966 verteidigte Tigran Petrosjan seinenTitel gegen Boris Spasskij. 1969 setzte sich dann Boris Spasskij im WM-Kampf gegen Petrosjan durch.
Doch bleiben wir noch einen Moment bei Botwinnik. Nach 1963 war die Weltmeisterlaufbahn quasi beendet. Er unternahm keine ernsthaften Versuche mehr sich in einem Weltmeisterkampf durchzusetzen und für eine erneute WM zu qualifizieren. Er spielte noch eine Reihe schöner Turniere und widmete sich jedoch zunehmend der wissenschaftlichen Forschung sowie der Förderung von Schachtalenten.
Foto: © Michael Wiemer
Ein paar Zahlen, Daten und Fakten zu Michail Botwinniks Laufbahn seien mir an dieser Stelle erlaubt.
- Schachweltmeister: 1948–1957, 1958–1960, 1961–1963
- UdSSR-Meister: 1931, 1933, 1939, 1941, 1944, 1945 und 1952
- Goldmedaille bei Schacholympiaden mit der Mannschaft der UdSSR: 1954, 1956, 1958, 1960, 1962 und 1964
- höchste historische Elo-Zahl: 2885 im Oktober 1945; gemäß dieser Elo-Rückrechnung war Botwinnik erstmals von Mai 1936 bis Februar 1937 die Nummer 1 der Weltrangliste. Die längste Zeit war er von August 1944 bis Mai 1950 die Nummer 1. Letztmalig ist der Mai 1958 datiert.
Foto: © Michael Wiemer
Der nächste Weltmeister wird ausgepackt. Michael Wiemer strahlt. Ja, ich strahle über das ganze Gesicht. Alexander Aljechin war der vierte Weltmeister in der Geschichte des Schachs. Vielleicht einer der umstrittensten Weltmeister. Einen der bemerkenwertesten Artikel über das Schachgenie gelang Frederic Friedel vor 11 Jahren am 28. März 2006 auf ChessBase unter dem Titel Aljechins Tod – ein ungelöstes Rätsel?
Foto: © Michael Wiemer
Derweil mundet der Kaffee. Immer einen kleinen Schluck von dem köstlichen Getränk. Ja, die Schachbücher im Paket haben Patina angesetzt. Ich mag das. Sehr.
Foto: © Michael Wiemer
Auch das eine oder andere Kleinod fernab der Schachweltmeister findet sich im Paket. Die Bedeutung des Schachs von Dr. H. V. Klein und Dr. F. Palitzsch. Das Vorwort von Dr. Friedrich Palitzsch ist mit Dresden, im November 1923 datiert.
Foto: © Michael Wiemer
An meiner eigenen Schachstärke wird auch weiter gefeilt. Dafür ist dann auch entsprechende Lehrmaterial dabei. Suche Dir gute Lehrmeister pflegte mein Vater zu sagen. Halte Dich an die Guten. Ich vergesse dabei auch das körperliche Training nicht. Am Wochenanfang bei Kieser Training in Friedrichshafen gewesen. Heute ist ebenfalls eine weitere Trainingseinheit geplant. Zwischendurch gestern auch noch kurz bei Mark Maslow vorbeigeschaut. Der bloggende Fitness Coach verrät auf seinem Kultblog Marathonfitness im Artikel unter dem Titel 6 Fitnessstudio Regeln, die Dir niemand verrät Internas. Übrigens Werner Kieser und seine Frau Dr. med. Gabriela Kieser haben das Unternehmen Kieser Training AG an ihren langjährigen Geschäftsführer Michael Antonopoulos und ihren Verwaltungsrat Nils Panzer verkauft. Dazu ein andermal mehr.
Foto: © Michael Wiemer
Eröffnungstheorie ist ein weites Feld. Die französische Verteidigung – darf ich ehrlich sein. Als Vereinsschachspieler habe ich in meiner Laufbahn mit Weiß immer Schwierigkeiten gegen dieses vermaledeite e7-e6 von Schwarz im ersten Zug gehabt. Ich spiele nicht gerne gegen die französische Verteidigung. Bei uns im Verein hat sich ein Schachfreund auf diese Eröffnung spezialisiert. Komme da meistens in Schwierigkeiten. Ich bin da drauf und dran mit einer anderen Eröffnung als meinem geliebten e2-e4 zu beginnen. Habe mir von Bent Larsen schon etwas das b2-b3 draufgeschafft. Und in der einen oder anderen Blitzschachpartie im Verein getestet. Ja, auch bereits in der Vereinsmeisterschaft. Da habe ich aus zwei Partien mit der unkonventionellen Larsen Eröffnung, die bisweilen auch Bobby Fischer spielte, zwei Remis geholt und war mit mir selbst nicht ganz zufrieden. Habe ja fast ausschließlich seit meiner Kindheit mit e2-e4 eröffnet. Verfluchtes französisch. Vielleicht muss ich einfach die französische Verteidigung mal richtig durchackern. Jetzt ist ja kein Platz für Ausreden mehr da. Wer könnte Rolf Schwarz widersprechen?
Foto: © Michael Wiemer
Richard Réti. Ein Schachspieler ohne Weltmeistertitel. Doch es muss nicht immer der Titel sein. Richard Réti Bedeutung für die Schachwelt erstreckt sich vor allem in der Implementierung der Hypermodernen Ideen im Schach. In der Schachgeschichte und auch heute noch evrankert: Die Réti Eröffnung und zahlreiche Endspielstudien. Und dann wäre da noch ein Weltrekord. Im Jahr 1925 stellte Réti ihn im Blindsimultan an 29 Brettern auf. Die Bilanz: Richard Réti gewann 21 Partien. 6, remis und nur 2 Verlustpartien.
Foto: © Michael Wiemer
Froms Gambit. Heißes Thema. Das ist ganz heiß. 1. f2-f4 e7-e5. Tief durchatmen. Das Buch von Dr. Georg Deppe erschien 1963. Es handelt das Thematurnier 1961/1962 und die Eröffnungstheorie vom Froms Gambit mit rund 100 Partien, 125 Diagrammen sowie zahlreichen Analysen unter der Mitarbeit der Tunierteilnehmer Brinckmann, Böhringer, Cording, Faure, Gigas, Heemsoth, Kremer, Löchner, Popp und Röthgen ab.
Foto: © Michael Wiemer
Die Schatztruhe ist noch immer mit edlen Stücken gefüllt. Ja, der von mir genüsslich zubereitete rehbraune Kaffee ist mittlerweile ausgetrunken. Die Büffelherde vorbeigestürmt. Die Sonne lächelt draußen ebenfalls verführerisch. Mein Versprechen an die Leser wird auch eingehalten. Der Tag ist schön. Man hat auch keine SPD Triple-Wahlkampfniederlage Saarbrücken, Kiel und Düssseldorf zu verarbeiten. Dabei hat sich die SPD jeden verlorenen inflationären Prozentpunkterutsch bei der ehemaligen Gunst der Wähler selber zuzuschreiben wie der Postillion unter Freundliches Gesicht reicht offenbar doch nicht, um 17 Jahre unsoziale Politik vergessen zu machen zu berichten weiß.
Foto: © Michael Wiemer
Patina. Patina. Ja, die Historie. Wir beamen uns in das Jahr 1846. Kein Telefax, keine Solardächer, keine Handys, kein Fernsehen, kein Internet, keine Anne Will Sendung in der SPD Politikerinnen das Wahlvolk beschimpfen, kein Dieselgate, kein Schachhype in Norwegen, kein Shitstorm per Twitter, kein Mark Zuckerberg mit Facebook, keine elektronischen Schachuhren und keine Schachcomputer. War 1846 gar nichts los? Doch, die Gründung der Deutschen Schachzeitung ist auf jenes Jahr 1846 datiert.
Foto: © Michael Wiemer
Das Schach Memorabilia Herz schlägt höher und würde locker Stabhochsprungwettkämpfe mit der russischen Weltmeisterin, Olympiasiegerin, Europameisterin und Serienweltrekordlerin Jelena Gadschijewna Issinbajewa bestreiten können, deren Bestleistung bei 5,06 m liegt. Das Werk von Kurt Richter Der Weg zum Matt – Ein Blick in die Schachtechnik ist mit zahlreichen Stellungsbildern versehen. Es ist ein Sonderdruck für das Oberkommando der Wehrmacht Abteilung Inland im Jahr 1941 gewesen. Kurt Richter in seinem Vorwort am 1. Februar 1941:
,,Der Weg zum Matt“ befaßt sich hauptsächlich mit typischen Wendungen auf dem Schachbrett und führt den Vorwärtsstrebenden schrittweise dazu, Verständnis für die Schachtechnik zu gewinnen. Dabei wurde durchweg von den Erfordernissen der Praxis ausgegangen und jeder unnötige bloß theoretische (im wirklichen Spiel jedoch kaum vorkommende) Ballast vermieden. Der Blick im Schach soll so geschult werden; der Lernende soll begreifen lernen, worauf es für die Entscheidung der Partie ankommt.“
Das Büchlein ist in vier Kapitel untergliedert:
- Wegbereiter ist das Fußvolk!
- Weggestalter: Die Figuren
- Schachliche Geländekunde
- Warnungstafeln auf dem Wege
Wir nähern uns dem Ende unserer kleinen Auspack-Zeremonie. Das Versprechen war: Michael Wiemer packt Weltmeister aus. Hoffe meinen Leser konnten mir entspannt über die Schulter schauen und für sich selber Inspiration finden für die eine oder andere Schachpartie, vielleicht mit einer Tasse Kaffee, Espresso oder Cappuccino.
Foto: © Michael Wiemer
Zu guter Letzt kommt Bobby Fischer zum Vorschein. Ein weiterer Weltmeister. Vor dem spektakulären Schachmatch des Jahrhunderts 1972 in Reykjavik gab der 29-Jährige Herausforder von 25 Jahren russischer Schachvorherrschaft Bobby Fischer selbstbewusst ein Statement ab:
„Möglicherweise wird es das größte sportliche Ereignis der Geschichte. Bedeutender sogar als der Kampf Frazier-Ali…“
Spätestens seit meinem Blogpost vom 26. März 2010 unter dem Titel Reminiszenz an das Schachmatch des Jahrhunderts wissen meine Stammleser von meinem Faible für das Schachgenie Bobby Fischer und meine „persönlichen Verstrickungen“ mit Bobby.
Weiterführende Leselektüre
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Benjamin Wahlen bemerkenswertes Spox-Interview mit Jan Gustafsson und Ilja Zaragatski