Die nackte Tour de France

Entzauberungen schmerzen. Dies mussten bei der Frauenfußball-WM die deutschen Frauen deutlich spüren. Das mediale Nachbeben über viele Tage und Halbfinalspiele ohne fest geplante Teilnahme wirken ernüchternd für Sportfunktionäre, Übungsleiterin Neid und die Spielerinnen. Entzaubert. Auch die Tour de France ist entzaubert. Dennoch bleibt eine Restfaszination. Der in New York lebende Journalist Sebastian Moll hat in zahlreichen Sommerwochen früher für Financial Times Deutschland live von der Tour de France berichtet.

Sebastian Moll bleibt seit zwei Jahren der Höllentour fern. Er verfolgt die Frankreichrundfahrt dennoch weiter und hat einen bemerkenswerten Artikel in der Financial Times Deutschland unter dem Titel Darf man sich an der Tour de France erfreuen? geschrieben.

,,Seit wir in den vergangenen Jahren mehr über die Produktionsbedingungen und Hintergründe dieser formidablen Show erfahren haben, als wir je wissen wollten, stellt sich nun aber die Frage, inwiefern man sich den Genuss des Spektakels noch gestatten darf. Kann man einfach ignorieren, dass das gezeigte Leistungsniveau erlogen ist, dass die vermeintlich edlen Helden in Wirklichkeit nicht besser sind als Hedge-Fond-Manager, die sich ein paar Linien Koks reinziehen, damit sie spät in der Nacht fit genug sind, um noch ein paar Millionen mehr scheffeln zu können? Kann man das einfach weiter in sich hineinstopfen wie Hormonfleisch aus industrieller Massentierhaltung?“
Die zahlreichen Dopingskandale, Contadors Fleischstory, die Floyd Landis Soap, der inflationäre Rückzug von Sponsoren aus dem Radbusiness (erinnert sich noch jemand an das Team Gerolsteiner bzw. Telekom oder Phonak) haben dem Mythos der Tour de France bröckeln lassen. In Deutschland ist man ja fast ein sozialer Außenseiter wenn man keine permanente Abstinenz zum größten Radsportspektakel der Welt verkündet.
 
Leser Winfried Timmermanns schrieb hier kürzlich im Blog: 
 

,,Naja, es mag ja Freaks geben, die sich in passendes Out-fit werfen und dann ein paar Kilometer radeln…
Die sind aber in der Minderheit. Minderheitenprogramm ist Nachtprogramm. -Traditionell in Deutschland. Wen sonst interessiert noch die Tour de Spritz?“

Ein paar unverbesserliche (mich mit eingeschlossen) verfolgen die Tour gerne bei Eurosport. Sicherlich nicht mehr so exzessiv wie in den Zeiten der Duelle von Lance Armstrong und Jan Ullrich. Beim Sportsender ist man ob der kürzeren Berichterstattung von ARD und ZDF nicht böse und zeigt sich über die eigenen Zuschauerzahlen erfreut. Auf quotenmeter kommt Werner Starz, Direktor Kommunikation bei Eurosport in Deutschland, zu Wort:

„Für Eurosport war und ist die Tour de France ein TV Top-Event und das spiegeln die Zuschauerzahlen auch wider“

Da wird die Tour ohne Scham tatsächlich als Top-Event bezeichnet. Ohne Wenn und Aber. Die oben gestellte Frage von Sebastian Moll: Darf man sich an der Tour de France erfreuen? unterliegt also keinem kategorischen Nein.